Zivilcouragepreis 2010 für Martin Dannecker: Laudatio von Gregor Gysi

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ich kann auch sagen, liebe Lesben, liebe Schwulen, lieber Rest.

Also, ich begrüße euch ganz herzlich.

Ich freue mich, dass ich heute eine Laudatio halten darf, uzw. auf Professor Martin Dannecker. Dieser Mann ist Mitbegründer der West-Deutschen Schwulenbewegung. Nach der Aufhebung des Totalverbots der Homosexualität 1969, also der Liberalisierung des damaligen Paragraphen §175, nahm Martin Dannecker an der ersten Nachkriegs-Demonstration von Homosexuellen 1972 in Münster teil. Er hielt ein Transparent dessen Titel mir sehr gut gefiel, da stand drauf: "Brüder und Schwestern, ob warm oder nicht - Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht!" Also mir sagte das sehr zu. Aber wenn ich das von 1969 schildere, dann darf man das nicht mit dem Jahr 2010 vergleichen. Damals gehörte ungeheuer viel Mut und Zivilcourage dazu, dazu zu stehen und die hat er aufgebracht.

Martin Dannecker war auch der Kopf bei der Rosa von Praunheim-Verfilmung, den aufsehenerregenden Film mit dem Titel, "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" Dieser Film rüttelte auf. Übrigens, als die ARD diesen Film deutschlandweit ausstrahlte, schaltete sich ein Sender aus, der Bayrische Rundfunk. Es war ein Film halb Dokumentation, halb Spielfilm. Aber der Film war ein Aufruf zum politischen Handeln und hatte den 70er-Impetus mit einem moralischen Zeigefinger. Martin Dannecker sprach als Stimme aus dem Off. Und ich will ihnen mal zitieren, was er damals in diesem Film sagte. Er sagte: "Wir müssen uns organisieren. Wir brauchen bessere Kneipen. Wir brauchen gute Ärzte. Und wir brauchen Schutz am Arbeitsplatz. Werdet Stolz auf eure Homosexualität. Raus aus den Toiletten, rein in die Strassen. Freiheit für die Schwulen!" Das forderte damals Martin Dannecker. Der Film sparte übrigens auch nicht mit Kritik an den Schwulen selbst, z.B. hieß es dort: "Die Schwulen sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, das sie nicht totgeschlagen werden." Das ärgerte Dannecker schon damals.

In der Folge dieses Films, begannen sich überall in der alten Bundesrepublik Deutschland zahlreiche studentisch geprägte Schwulengruppen zu bilden. Oft sozialistisch aber immer in Opposition zur Gesellschaft, in der kurz zuvor noch Homosexuelle verfolgt und inhaftiert wurden. Ich möchte daran erinnern, zwischen 1945 und 1969 wurden in der alten Bundesrepublik Deutschland 50.000 Schwule verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt, nur dafür das sie anders liebten. Nur dafür! Und in der DDR gab es Verurteilungen bis 1952, es betraf 3000 Schwule. Aber auch das waren zweifellos 3000 zuviel. Übrigens, weil in beiden Deutschen Staaten erwachsene Homosexuelle strafbar blieben, bekamen die, die im KZ saßen keine Entschädigung. Auch das ist nicht hinnehmbar! Die Schwulengruppen trafen damals, anders als heute, auf eine ihnen völlig feindlich gesinnte Gesellschaft. Auf Hass und Ablehnung.

1974 veröffentlichte Martin Dannecker die bis heute umfangreichste wissenschaftliche, deutschsprachige Studie zu schwulen Lebenswelten. Er nannte sie: "Der gewöhnliche Homosexuelle" Er wurde etablierter Sexualwissenschaftler und Vizedirektor des für Sexualwissenschaften in Frankfurt/Main. Martin Dannecker begleitet bis heute den Emanzipationsprozess der Lesben und Schwulen; immer solidarisch und stets kritisch. Als in den 80er Jahren AIDS aufkam, engagierte er sich für die meist schwulen Männer die an AIDS erkrankten. Er saß in der Enquete-Kommission AIDS des Deutschen Bundestages und verhinderte aktiv, dass sich Konservative durchsetzten die Lager für HIV-Infizierte forderten.

Martin Dannecker steht für das Motto dieses CSD: Normal ist anders! Er hat Normalität verändert. Aber er wollte nie, dass Lesben und Schwule normal werden. Vielmehr sollen sie anders sein dürfen. Das war sein Motto. Von meiner Kindheit bis heute haben wir gewaltige Veränderungen erlebt, dazu gehört auch diese Demonstration. Lassen sie uns dafür kämpfen, dass diese Veränderungen weitergehen und niewieder rückgängig gemacht werden können. Dafür steht ein Mann, Martin Danecker! Er ist und bleibt ein streitbarer Kämpfer! Dankeschön. Und deshalb jetzt die Auszeichnung für ihn!

(c) Bild: Burghard Mannhöfer - www.queer-kopf.de