Zivilcouragepreis 2010 für Martin Dannecker: Dankesrede von Dannecker

Ja meine lieben Freunde, meine lieben Freundinnen.

Hier steh ich nun und ich freu mich über diesen Preis wirklich und fühl mich auch durchaus geehrt. Vielen Dank, ich fühle mich auch durch ihre Laudatio, Herr Gysi, geehrt und ich freu mich sehr darüber. Ich war nur nicht die Stimme aus dem Off in dem Praunheim-Film. So schön wie Volker Eschke, hätte ich das gar nicht ausdrücken können. Aber die Forderungen waren schon diejenigen, die ich meinte.

Damals, ich geh jetzt Mal ein Bisschen weit zurück, viel zu weit wahrscheinlich für euch. In den 70er Jahren als die schwule Bewegung angefangen hat und ich mich mitten in ihr bewegte, hatte ich bereits damit begonnen mich mit der Theorie der Homosexualität zu beschäftigen. Und ein Grundsatz war mir dabei wichtig: Rückhaltlos alles zu sagen, was der Fall ist. Gleichgültig, ob es mit den damals vorherrschenden sexuellen Normalitätsvorstellungen vereinbar war, oder nicht. Es ging mir vielmehr darum, dass Andere an der Homosexualität zu benennen und zugleich auf dessen Normalität zu bestehen. Das hat vielen Homosexuellen nicht gepasst, weil viele von ihnen sich der gesellschaftlichen Verfolgung und der anhaltenden Pathologisierung dadurch zu entziehen suchten, in dem sie manche Teile ihrer Sexualität die sie selber mit Normalität nicht vereinbaren konnten, von sich selbst und ihrer Existenz abgespalten haben. Diese nur aus der gesellschaftlichen Verfolgung zu erklärende, tragische Position wollte ich sowohl für mich selber als auch für alle anderen Schwulen überwinden.

Das ich mich in der Schwulenbewegung der 70er Jahre wie ein Fisch im Wasser gefühlt habe lag daran, dass meine theoretischen Intentionen mit dem was in der Schwulenbewegung am Anfang durchgesetzt werden sollte, völlig überein stimmte. Denn die Schwulenbewegung, und das verleiht ihr wirklich eine Ausnahmestellung im Jahrhunderte langen Kampf der Homosexuellen gegen Verfolgung und Diskriminierung, hat mit der Politik der Anerkennung und mit dem Vorhaben, über Anpassung Freiheitsspielräume zu erreichen, radikal gebrochen. Sie hat auch nicht um Toleranz gebuhlt. In ihren militanteren Anfängen hat sich der damals vorherrschenden Anti-Homosexualität; sie hat sie vielmehr herausgefordert und dadurch zugleich kenntlich gemacht. Nach der Maßgabe der damaligen Gesellschaft, waren Homosexuelle abartig, pervers und krank. Der politische Geniestreich der Schwulenbewegung bestand nun genau darin, diese Vorstellungen NICHT zu widerlegen, sondern sie durch die Art und Weise ihres Agierens, ihrer Parolen und ihrer Theorien scheinbar zu bestätigen. Zugleich verlangten sie von der homosexuellenfeindlichen Gesellschaft, die Homosexualität als das zu akzeptieren was der anti-homosexuelle Diskurs aus ihr gemacht hat: Ein abartige und mit Normalität nicht zu vereinbarende Form der Sexualität. Und das zielte auf nichts weniger als auf die Aufsprengung der gesellschaftlichen Vorstellungen von sexueller Normalität.

Schwule wollen nicht schwul sein - so raunte es bedeutungsschwer in dem zum Mythos gewordenen Film: "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Also müssen wir darauf hinarbeiten, schwul zu werden. Was aber ist damit gemeint? Schwul sein heißt, auf die Differenz zu bestehen die aus der Liebe des Mannes zum Manne erwächst. Aber diese Differenz kann nicht in ein Programm und nicht in eine Norm gegossen werden. Schwul sein hieß damals, ein Bewusstsein davon zu haben das man sich von anderen unterscheidet und quer liegt zu den vorgefertigten Lebensweisen. Gegenwärtig heißt Schwulsein, aus dem souveränen Wissen heraus das anders zu sein normal ist, die völlige Gleichstellung der Schwulen und Lesben mit der heterosexuellen Mehrheit zu erreichen. Schwulsein heißt aber auch, auch noch, die Courage aufzubringen, sich gegen jene zu wehren die sich von der Liebe des Mannes zum Mann in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen und zur anti-homosexuellen Gewalt neigen.

DAS würde ich gerne noch erleben, einen Tag, ein Jahr - nein, eine Welt OHNE anti-homosexuelle Übergriffe. Erst wenn diese verschwunden sein werden, wäre das erreicht was ich als Theoretiker der Homosexualität, und als Teil der Schwulenbewegung, mir erträumt habe. (Martin Dannecker reckt die Faust in die Höhe und verlässt das Redepult.)



(c) Bild: Burghard Mannhöfer - www.queer-kopf.de