Zivilcouragepreis 2010 für Judith Butler: Ansprache von Judith Butler


Vielen Dank, Vielen Dank. Danke.

Wenn ich darüber nachdenke, was es heutzutage heisst einen solchen Preis zu akzeptieren, so finde ich dass ich meine Courage eher verlieren würde, wenn ich ihn unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen einfach akzeptiere. In den letzten tagen habe ich sehr viel über die politische situation in berlin gelernt, was ich bisher nicht völlig verstanden habe und daher befinde ich mich jetzt in einem dilemma. Zum Beispiel: Einige der Veranstalter_innen haben sich explizit rassistisch geäußert bzw. sich nicht von diesen Äußerungen distanziert. Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muss ich mich von dieser Komplizenschaft mit Rassismus einschließlich antimuslimischen Rassismus distanzieren.


Wir haben alle bemerkt, dass Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-, Queer-Leute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, d. h. kulturelle Kriege gegen Immigrant_innen durch forcierte Islamophobie und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. Während dieser Zeit und durch diese Mittel werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus. Gegenwärtig behaupten viele europäische Regierungen, dass unsere schwule, lesbische, queer Freiheit beschützt werden muss und wir sind gehalten, zu glauben, dass der neue Hass gegen ImmigrantInnen nötig ist, um uns zu schützen. Deswegen müssen wir nein sagen zu einem solchen Deal. Und wenn man nein sagen kann unter diesen Umständen, dann nenne ich das Courage. Aber wer sagt nein? Und wer erlebt diesen Rassismus? Wer sind die Queers, die wirklich gegen eine solche Politik kämpfen? Wenn ich also einen Preis für Courage annehmen würde, dann muss ich den Preis direkt an jene weiterreichen, die wirklich Courage demonstrieren. Wenn ich so könnte, würde ich den Preis weiterreichen an folgende Gruppen, die jetzt zu dieser Zeit und an diesem Ort Courage zeigen:

1. GLADT: Gays and Lesbians from Turkey. Das ist eine queere Migrant_innenselbstorganisation. Diese Gruppe arbeitet heute sehr erfolgreich zu den Themen: Mehrfachdiskriminierung, Homophobie, Transphobie, Sexismus und Rassismus.
LesMigraS, lesbische Migrantinnen und Schwarze Lesben, ist der Anti-Gewalt und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin. Er kann auf nunmehr 10 Jahre erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Sie arbeiten zu Mehrfachdiskriminierung, Self-Empowerment und antirassistische Arbeit.

SUSPECT, eine kleine Gruppe von Queers, die eine Anti-Gewaltbewegung aufgebaut haben und die dafür einstehen, dass es nicht möglich ist, gegen Homophobie zu kämpfen ohne auch gegen Rassismus zu kämpfen.

ReachOut ist eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer, antisemitischer und homophober, transphober Gewalt in Berlin. Sie sind kritisch gegenüber struktureller und staatlicher Gewalt.

Ja, und das sind alles Gruppen, die bei dem transgenialen CSD mitarbeiten, mitgestalten, der sich gegen Homophobie, Transphobie, Sexismus, Rassismus und Militarismus einsetzt und im Gegensatz zum kommerziellen CSD sein Datum wegen der Fußball-Weltmeisterschaft nicht verschoben hat.

Ich möchte diesen Gruppen gerne gratulieren für ihre Courage und es tut mir leid, dass – unter diesen Umständen kann ich den Preis nicht annehmen.